Tee kochen

Es ist so heiß. Die Hitze ist ein Nebel, drei Zentner Watte, die mich feucht und stickig in den Winkel drückt, an die alten Ziegelmauer zwischen dem Essigbaum und dem Rinnsal, das aus einem verrosteten dünnen Rohr sickert. Es hat seit Wochen nicht geregnet, und das Wasser, das sonst hellauf sprudelnd aus dem Rohr schießt, tropft mit einem eigenartigen, mal rostroten, mal schlickgrünen Unterton in die Steinrinne, die es durch den staubigen Hof führt und auf der anderen Seite durch ein kreisrundes Loch am Fuß der Mauer über den Gehsteig und in den Rinnstein. Hinter der Mauer in meinem Rücken erhebt sich der Hang mit seinem Dickicht aus Zwergeichen und dornigen Ranken. Irgendwo dazwischen scheinen noch Kräuter zu blühen, denn ich höre Bienen summen, wenn die Straße vor dem Haus kurz verstummt.
Hier im Winkel im Schatten ist es kaum kühler als in der Sonne. Die Luft steht im Hof, in den Straßen, zwischen den Häusern; und am Kai und am Strand wie eine Mauer, die das Meer von der Stadt trennt. Vorgestern war ich dort und wartete auf einen kühlen Luftzug wie auf ein Schiff. Es kam nicht. Vielleicht nächste Woche.
Inzwischen lasse ich die Hitze mich reduzieren, wie den Wein für eine Sauce.
Paj sagte das einmal zu mir: Wenn du nicht weißt, was du besonders gut kannst und tun sollst, dann finde heraus, was das Letzte ist, was du noch kannst, wenn es viel zu heiß ist oder viel zu kalt, wenn du zu Tränen froh oder traurig bist, wenn du eine Woche lang nicht geschlafen hast oder nicht gegessen oder zu viel getrunken und mit deiner Liebsten im Streit liegst oder jemanden verloren hast und es dir schier das Herz zerreißt und die Lunge dazu und du vor Traurigkeit nicht mehr weißt, wie man atmet. Was du dann noch kannst, das ist es, was du und nur du wirklich kannst und was du tun sollst.
Jetzt ist einiges von seiner Liste eingetroffen.
Ich sitze im dürftigen gefiederten Schatten des Essigbaums und sehe zu, wie ich weniger werde.
Als erstes verschwindet mein Körper, jedenfalls der Körper, den ich kenne und der ich bin. Ich erkenne meine Bewegungen nicht, sie sind kraftlos und plump und ohne jede Schönheit, und die Haut fühlt sich an wie ein verklebter, verdreckter, feuchter Ledersack. Er hält mühsam seinen Inhalt beisammen, der ihn umförmig ausbeult und zu Boden zieht. Aber er fühlt mehr. Jede Berührung bleibt minutenlang auf den Nervenenden haften wie ein lästig flirrender Insektenflügel. Irgendwo muss es ja kühler sein, besser sein als hier, aber ich weiß nicht, wie man an einen anderen Ort kommt, ich habe vergessen, wie man sich dafür bewegen müsste und wohin man gehen könnte.
Und dann, ist es die Mühe wert? Denn als nächstes gehen die Pläne. Ich weiß noch, was ich heute tun wollte und morgen, aber nicht mehr warum, oder welchen Unterschied es machen sollte. Und mit den Plänen sind offenbar auch die Träume gegangen. Ich kann sie nur noch lesen wie ein vergilbtes Blatt Papier voller veralteter bürokratischer Floskeln, so oft gehört, dass ich sie auswendig herunterleiere, obwohl sie keine Bedeutung mehr haben. Vor ein paar Tagen spielte ich noch in ihnen mit, wie ein Schauspieler in seiner größten Rolle, und schmeckte sie auf der Zunge wie grüne Oliven mit Salz und Zitrone. Jetzt sehe ich die Gesichter nur noch wie ein zu oft gesehenes, schlecht fotografiertes Bild. Ich kann sie nicht mehr zum Leben erwecken oder wenigstens zum Laufen bringen wie einen Film.
Und wenn dann nichts übrigbleibt?
Ich betrachte das Muster auf dem Tuch meines Hemds und denke etwas, das ich schon hundertmal gedacht habe, und es verliert sich im Trockenen wie ein Faden im Gewebe.
Ich könnte die Hacke nehmen und an der Grube weitergraben, ja. Es ist furchtbar heiß. Der Boden ist steinhart. Es muss aber sein, und zwar bald, das Wetter erlaubt es nicht, damit noch lange zu warten. Auch nicht die üblichen drei Tage. Die anderen sind bestimmt schon bei der Arbeit, und ich habe ein schlechtes Gewissen und ich bleibe sitzen. Es ist das Letzte, was ich noch zu tun weiß. Es drängt, aber am Rand der Welt drängt auch wieder nichts.

Dann klopft es.
Ich frage mich, ob ich wohl aufstehe.
Aber ich stehe schon und gehe durch den leeren Türrahmen ins Haus, durch den kleinen Raum der Küche, in dem die Sonne ihre Muster zeichnet, hinaus in den Vorhof, und öffne die Tür. Du steht da und sagst nichts, weil du nicht mehr weißt, wie man atmet. Alle Zeitungen der Welt müssten darüber berichten, das dein Herz trotz allem noch weiter schlägt, so sehr wundert es mich. Ich bitte dich herein, du setzt dich auf die Bank mit den Kissen, ohne etwas anzusehen, und ich sage, dass ich gleich zurück bin und nur schnell Tee koche. Du nickst. Trotzdem zögere ich, dich die paar Minuten alleine zu lassen, aus Angst, du könntest wieder gehen.
In der Küche nehme ich den kupfernen Teekessel und fülle ihn mit Wasser. Während er auf dem Feuer steht, bereite ich den Zucker vor, hole die Dose mit dem grünen Tee aus dem Schränkchen und gehe hinaus in den Hinterhof, um die Minze zu pflücken. Ich bereite die Teekanne vor, schwenke sie mit heißem Wasser aus, mache den ersten Aufguss und schütte ihn in den Hof.
Tropfen und Staub wirbeln in der Sonne.
Ich nehme den Kessel, um den Tee aufzubrühen, und dann erkenne ich die Bewegung wie einen alten Freund auf der Straße. Das ist mein Arm, und so, wie gerade das Sonnenlicht in zitternden Tupfen auf die Haut fällt, ist er schön. Das also kann ich, egal was ist, ich kann dir die Tür öffnen, und ich kann Tee kochen.
Das ist mein einziges Talent. Für dich kann ich immer Tee kochen.